Qiu Shihua: Neiguan
Galerie Karsten Greve, Köln
Dienstag - Freitag, 10 - 18.30 Uhr
Samstag, 10 - 18 Uhr
Finissage
am Freitag, 05. April 2024, um 18 Uhr
In Kooperation mit dem Konfuzius Institut Bonn findet ein Konzert der Guqin Spielerin YAN Yan statt.
Die Galerie Karsten Greve freut sich, mit „Neiguan“ dem chinesischen Maler Qiu Shihua die vierte umfassende Einzelausstellung in Köln zu widmen. Gezeigt werden 19 Gemälde und Arbeiten auf Papier, die in der Zeit von 1995 bis 2023 entstanden sind und zum Teil erstmals in Köln präsentiert werden.
Qiu Shihua setzt sich kontinuierlich mit dem Genre der Landschaftsmalerei auseinander. Seine Bilder entziehen sich der unmittelbaren Lesbarkeit und halten für das geduldige Auge eine Fülle visueller Überraschungen bereit. Der Betrachter wird angehalten, seinen Blick immer wieder neu auszurichten, damit das Bild sich mit der Zeit entfalten kann. Natur und Landschaft stellen eine Konstante in Qiu Shihuas Werk dar, das seit den 1980er Jahren stark von der taoistischen Philosophie beeinflusst ist.
Der 1940 in Zizhong in der Provinz Sichuan (China) geborene Qiu Shihua begann schon in jungen Jahren als Autodidakt zu malen, bevor er an der Akademie der Schönen Künste in Xi'an studierte. Trotz seiner sowjetisch geprägten Ausbildung war der Künstler mit der französischen und deutschen Malschule vertraut und übte sich in der Freilichtmalerei. Als er sein Studium begann, wurde die alte künstlerische und literarische Kultur Chinas zunehmend von der kommunistischen Politik der Zeit verdrängt. Unter Maos Führung gerieten traditionelle chinesische Künstler unter Druck, ihre Malerei an kommunistische Themen und Stile anzupassen. So auch Qiu Shihua, der in dieser Zeit vorwiegend Aufträge als Plakat-Illustrator annahm.
Großen Einfluss auf seine künstlerische Entwicklung hatte eine Europareise im Jahr1984, bei der Qiu Shihua die Pioniere der europäischen Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, angefangen bei den Impressionisten, kennenlernte. Das Überflüssige und die Informationsflut wichen dem kreativen Prozess des Künstlers, der sich von nun an zunehmend mit seinem spirituellen Denken in Einklang brachte. Sein Werk folgt dem taoistischen Prinzip des "Handelns durch Nichthandeln”:"Ich begann, mich nach den Prinzipien des Taoismus zu entwickeln, was sehr lang dauerte. Von diesem Zeitpunkt an wurde mein Herz ruhiger und ich wurde entspannter. Unterbewusst durchdrang der Taoismus meine Arbeit (...). In der Vergangenheit hatte ich immer mehr Informationen angehäuft und das Gefühl, immer nach außen zu schauen, aber jetzt schaue ich nach innen - es war ein langer Weg zurück." Nach der taoistischen Philosophie ergänzen sich Mensch und Natur. Das Streben nach Weisheit liegt in der Harmonie, die sich einstellt, wenn das Herz und der Geist gleichermaßen auf das Tao, den Weg, ausgerichtet sind. Das Loslassen von der Idee eines Ziels und die Erkenntnis, dass der Weg die Ebene ist, die es zu erreichen gilt – darin mündet die malerische Mediation Qiu Shihuas und ihre Betrachtung.
Qiu Shihuas Arbeiten vermitteln Visionen von Landschaften, die zwischen der westlichen Idee von Abstraktion und Reduktion einerseits und den taoistischen Konzepten von Wiederholung und Leere andererseits oszillieren. Aufgrund seiner fundierten Kenntnisse der chinesischen und westlichen Malerei gelingt es ihm, beide Traditionen miteinander zu vereinen. Die von Künstlern wie Claude Monet und William Turner entwickelten Techniken sind in der Auflösung der Landschaft in einen malerischen Prozess und in der Auseinandersetzung mit dem Thema durch das Spiel mit Licht und Atmosphäre zu erkennen. In Anlehnung an die chinesische Tradition der Shanshui-Malerei (shan: Berg und shui:Wasser) gestaltet er die Oberfläche der Leinwand in einem Wechselspiel aus Fülle und Leere. Der Blick wandert über die gesamte Fläche der Leinwand und bleibt nie zu lange auf einer bestimmten Stelle haften.
Begegnet man dem Werk Qiu Shihuas zum ersten Mal entsteht unmittelbar der Eindruck, dass es sich um monochrome Malerei handelt. Die Farbe Weiß dominiert in der Kunst von Qiu Shihua. In der chinesischen Sprache hat das Wort für "weiß" und das Wort für "leer" (Baise bzw. Kongbai) dieselbe Wurzel (-bai-). Er beginnt seinen Prozess mit einer Landschaft, die aus den Primärfarben Blau, Rot und Gelb besteht. Daraufhin radiert Qiu Shihua vorsichtig und bewusst Details aus und überzieht die Motive mit mehreren Schleiern oder Lasuren aus verdünnter, heller Farbe. In seinen anspruchsvollen und faszinierenden Gemälden bleibt das Bild unter den Malschichten verborgen und legt nur wenige Spuren des Entstehungsprozesses frei. Es geht jedoch nicht nur um die Räumlichkeit innerhalb des Bildes, sondern auch um seine Bezugnahme auf den realen Raum. Je nach Lichteinfall und Standort erscheinen und verschwinden die kleinsten figurativen Elemente wie flüchtige Erscheinungen.
In dem Versuch, "Visionen jenseits des Visuellen zum Ausdruck zu bringen", bietet Qiu Shihua jedem Besucher eine sehr persönliche Erfahrung, die die individuelle Wahrnehmung in den Vordergrund rückt und dem Betrachter dadurch eine gesteigerte Kritikfähigkeit verleiht. Qiu Shihua steht für eine Generation von Künstlern, die sich mit der Modernisierung der traditionellen chinesischen Kunst und der Adaption westlicher Kunsttechniken zwischen Landschaftsmalerei und Abstraktion auseinandersetzt. Vergleichbar mit den Anforderungen, die Installationen oder Environments mit sich bringen, und aufgrund der Tatsache, dass seine Kunst nur schwer zu reproduzieren ist, erfordert sein Werk die physische Präsenz des Betrachters für die gesamtheitliche Werkerfahrung. In Qiu Shihuas eigenen Worten: "Wenn der Betrachter den (Bild-)Raum betritt, wird er spüren, wie real sie sind, und er wird bemerken, wie sich das, was er sieht, von Zeit zu Zeit verändert, manchmal größer, manchmal kleiner wird, abhängig von seinem inneren Zustand."
Qiu Shihua wurde 1940 in Zizhong, in der Provinz Sichuan (China), geboren. Er absolvierte 1962 die Xi'an-Akademie der Schönen Künste mit Schwerpunkt Ölmalerei, in einem Land, das der westlichen Welt und deren Kunst noch weitgehend verschlossen war. In China fanden seine ersten Einzelausstellungen in den frühen 1990er Jahren statt. Heute ist Qiu Shihua ein international anerkannter Künstler. Im Jahr 2001 zeigte die New Yorker Kunsthalle seine erste monografische Ausstellung außerhalb Chinas. Seitdem wurde sein Werk in zahlreichen Einzelausstellungen gewürdigt, wie z. B. White Field im Hamburger Bahnhof in Berlin im Jahr 2012. Er nahm auch an renommierten Gruppenausstellungen teil, darunter Ink Art: Past as Present in Contemporary China, im Metropolitan Museum of Art in New York (2013). Seine Werke wurden auf der Biennale von São Paolo (1996), der Biennale von Venedig (1999) und der Shanghai Biennale (2004) ausgestellt und befinden sich in bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen, darunter die Fondation Louis Vuitton, Paris, das DKM Museum, Duisburg, The Metropolitan Museum of Art, New York, und das LACMA,Los Angeles. Qiu Shihua lebt und arbeitet zwischen Peking und Shenzhen (China). Die Galerie Karsten Greve vertritt Qiu Shihua seit 2015.