Autumn Whispers

Der Herbst ist die Jahreszeit der Zwischentöne: das Leuchten der Farben vor dem Verblassen, das Schweigen der Natur vor dem Winter, das Flüstern der Vergänglichkeit. Mit Autumn Whispers widmet die Galerie Karsten Greve St. Moritz dieser besonderen Stimmung vom 13. September bis 15. November 2025 eine Auswahl internationaler Künstlerinnen und Künstler, deren Werke in feinen, vielschichtigen Stimmen miteinander in Dialog treten.

Louise Bourgeois trägt Erinnerung und Emotion in dichte, skulpturale Formen – zwischen Geborgenheit und Auflösung, Abschied und Wiederkehr. Jean Dubuffet und Louis Soutter entfalten rohe, ungestüme Gesten, die wie Naturkräfte wirken, eruptiv und elementar, dem Kreislauf von Aufbruch und Vergehen verwandt.

Die Arbeiten von Wols nehmen eine besondere Stellung ein. Sein Ohne Titel von 1946, Öl auf Leinwand, verkörpert die fragile Balance zwischen äußerster Verdichtung und innerer Offenheit. Mit minutiöser Präzision ausgeführt, entfaltet es eine Bildwelt, in der sich organische Formen, Spuren und Linien zu einem stillen Mikrokosmos verweben. Zugleich markiert dieses Werk einen Wendepunkt in Wols’ künstlerischem Schaffen – eine Transformation hin zu einer neuen, abstrakten Bildsprache, die das Informel wesentlich prägte und ihn kunsthistorisch zu einem der bedeutendsten Wegbereiter dieser Bewegung machte. In dieser Malerei schreibt sich das Werden und Vergehen des Lebens selbst ein – ein poetisches Echo des Kreislaufs der Natur, in dem Herbst, Vergänglichkeit und künstlerische Erneuerung untrennbar ineinander sichtbar werden.

Ilse Bing und Lynn Davis lassen das Licht zum Klang des Herbstes werden – flüchtig wie Nebel, klar wie der erste Frost. Ihre Fotografien bannen Momente, in denen Zeit stillzustehen scheint und äußere Landschaft in eine innere verwandelt wird. Kathleen Jacobs arbeitet unmittelbar mit den Kräften der Natur. Wind, Wetter und Baumrinde schreiben sich in ihre Oberflächen ein, sodass stille Chroniken des Wandels entstehen, die die Rhythmen des Jahres erfahrbar machen.

Qiu Shihua erschafft Landschaften von fast unsichtbarer Präsenz, deren kontemplative Leere Geist und Natur, Himmel und Erde in ein stilles Gleichgewicht bringt. In seiner Malerei wird die chinesische Tradition der Landschaftsmalerei (Shan Shui) neu interpretiert: Das fast monochrome, oft nur durch feine Nuancen modulierte Weiß schafft einen Raum, in dem Stille und Leere als poetische und spirituelle Mittel wirken. Qiu Shihuas Werke reflektieren Prinzipien des Daoismus und Zen-Buddhismus, in denen Leere nicht als Abwesenheit, sondern als Offenheit und Möglichkeit verstanden wird. So entsteht eine subtile Poesie des Moments, in der Schweigen zu Gegenwart und Beobachtung zu Meditation wird.

Leiko Ikemura bewegt sich mit ihren fragilen, melancholischen Figuren zwischen den Kulturen und eröffnet Bildräume, in denen östliche und westliche Traditionen, Mythos und Erinnerung ineinanderfließen. Ihre Malerei lotet die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion aus und schafft Momente des Innehaltens, in denen Farbe, Form und Gestik existenzielle Stimmungen verdichten.

So entsteht mit Autumn Whispers ein vielschichtiges Geflecht von Stimmen, die – wie der Herbst selbst – nicht laut auftreten, sondern ihre nachhaltige Kraft in der Stille entfalten. Kunst und Natur, Kulturen und spirituelle Visionen erscheinen hier nicht als Gegensätze, sondern als gemeinsame Sprache von Verwandlung, Erinnerung und Erneuerung. Nietzsche pries die klare Luft, das besondere Licht und die frühen Fröste des Oberengadins; Freud und Rilke fanden in dieser Landschaft eine Verbindung von innerer Einkehr und äußerer Weite. In dieser Tradition fügt sich Autumn Whispers ein – als poetischer Raum, in dem Kunst und Herbstlicht ineinander übergehen.

Die Galerie Karsten Greve ist im Herbst durchgehend geöffnet – wir freuen uns über viele interessierte Besucherinnen und Besucher, die sich von dieser besonderen Stimmung inspirieren lassen.