Ilse Bing: Ilse Bing. Photographs 1928 - 1935
Galerie Karsten Greve Paris
Dienstag - Samstag, 10 - 19 Uhr
ILSE BING: Photographs 1928 - 1935, Galerie Karsten Greve Paris 2021. Photos: Nicolas Brasseur
Die Galerie Karsten Greve Paris freut sich, eine der Fotografin Ilse Bing gewidmete Einzelausstellung zu präsentieren. Photographs 1928 - 1935 zeigt eine Auswahl von Fotografien, die zwischen 1928 und 1935 in Frankfurt und Paris entstanden sind, und die avantgardistischen Experimente der "Königin der Leica" illustrieren.
Als Autodidaktin beschränkte sich Ilse Bing nicht auf ein bestimmtes Genre, sondern zeigte große Freiheit bei der Wahl ihrer Motive und interessierte sich gleichermaßen für Porträts, Mode, Tanz und Stillleben. Sie ließ sich auch von Großstädten inspirieren, sei es in der Architektur oder in Szenen des täglichen Lebens, wobei sie gerne ungewöhnliche Details einbezog (Dead leaf and Tramway ticket on Sidewalk, Frankfurt, 1929). Ihre Gestaltungsmittel, insbesondere Nahaufnahmen, kühne Perspektiven und Bildausschnitte, sowie die Aufmerksamkeit, die sie den Details des städtischen Lebens widmet, sind emblematisch für den Stil des "Neuen Sehens". Diese in den 1920er Jahren entstandene, modernistische fotografische Bewegung wurde von Berenice Abbott, André Kertész, Eli Lotar, Sasha Stone und Florence Henri angeführt - einer ikonischen Figur dieser Moderne, deren Geometrie-Lektionen perfekt auf die Arbeiten Ilse Bings angewendet werden können. Doch Bing ging ihren eigenen Weg, indem sie ihren Fotografien Zartheit und Poesie verlieh, das Spiel von Kontrast und Licht sowie die Spontaneität für ihre Bilder nutzte.
Diese Spontanität war Ilse Bing nur durch ihre Beherrschung der Leica möglich, die sie ab 1929 fast ausschließlich einsetzte. In einer Zeit, in der das 9 x 16 cm-Format in der Fotografie vorherrschte, war Ilse Bing eine der ersten und fast die einzige Fotografin, die mit dieser Kleinbild-Kamera arbeitete. Die Leica, die aufgrund ihrer kompakten Größe und ihres geringen Gewichts einfach und bequem zu bedienen war, nutzte eine neue Art der Bildgestaltung, die eine direkte Verbindung zwischen dem Blick des Fotografen und seinem Motiv herstellte. Mit dieser Kamera wurde die Fotografie ganz natürlich zum erweiterten Blick der Fotografin. Diese Möglichkeit zur Spontanaufnahme führte dazu, dass die Leica auch zum bevorzugten Werkzeug des Fotojournalismus und der modernen illustrierten Presse wurde.
Nach ersten fotografischen Gehversuchen in Deutschland verließ Ilse Bing 1930 Frankfurt und ging nach Paris, dem damaligen Zentrum der avantgardistischen Fotografie. Dort verbrachte sie die zehn fruchtbarsten Jahre ihrer Karriere.
Während die Leica in Deutschland von Fotojournalisten favorisiert und als ideales Reportagewerkzeug gefeiert wurde, definierte man sie in Paris als poetisches Instrument neu. Sie wurde zur perfekten Kamera, um das einzufangen, was Henri Cartier Bresson den "entscheidenden Moment" nannte. In Paris formte Ilse Bing ihren Stil, der Poesie und Realismus, traumhafte Verzauberung und die Klarheit der Moderne miteinander verbindet. Sie suchte Kontraste und originelle Gegenüberstellungen, die die banale Realität des Alltags in eine neue Idee verwandelten. Ihre Beschäftigung mit der Geometrie war immer noch allgegenwärtig und vermischte sich mit der Darstellung von Zeit und Bewegung, die sie durch ihre Beherrschung der Leica besonders in der Darstellung von Tanz in Perfektion wiedergeben konnte. In ihrer ersten Darstellung von Cancan-Tänzerinnen transzendierte Ilse Bing den anekdotischen Aspekt ihres Sujets zu einer reinen Bewegungsdarstellung, ein echter Stilbruch. Ihre Arbeit wird von der Galerie de la Pléiade für ihre jährliche Fotografie-Ausstellung ausgewählt. Der Kritiker Emmanuel Sougez wurde auf sie aufmerksam und veröffentlichte fortan bei jeder Gelegenheit ihre Arbeiten in den Zeitschriften L'Illustration und Arts et Métiers Graphiques.
Mit Willem Gerard van Loon, dem Sohn ihres Mäzens, perfektionierte sie ihre Darstellung von Bewegung. In Willem Gerard Van Loon, 1932, hielt sie seine sich gegen den Himmel abhebende Figur in einem Sprung fest, der in der Zeit eingefroren und in der Luft zu schweben scheint. Ihr Talent erregte die Aufmerksamkeit von George Balanchine, der sie bat, die Probe seines Balletts Errante (Der Wanderer) zu fotografieren, das im Juni 1933 zum ersten Mal aufgeführt wurde. In dieser Serie rufen Bings Fotografien sowohl die expressive Qualität der Lichter als auch die Vergänglichkeit der schönen Choreografie hervor. Ihr Wunsch, die Aufführung eines Balletts als kontinuierliches Ganzes zu dokumentieren, ohne zusätzliche Beleuchtung, führte zu einem Kunststück von Zartheit und Lebendigkeit.
Diese Beherrschung von Licht und Beleuchtung ist ein weiterer wichtiger Bestandteil von Ilse Bings Stil, der ihren Fotografien ihre poetische Aura verleiht. Sie scheinen direkt aus einem Traum zu stammen, selbst wenn sie die gewöhnlichsten Umgebungen darstellen.
Eines der ikonischsten Beispiele ist Salut de Schiaparelli, 1934, ein Werbefoto für ein Abendparfüm, das von der Schneiderin Elsa Schiaparelli lanciert wurde. In dieser Fotografie ist ein auf einem Lilienbett schlafendes Model in silbriges Mondlicht getaucht. Ilse Bing hat in dieser Fotografie ihre ganze Meisterschaft im Spiel von Licht und Schatten in auffälligen Kontrasten abgerufen. Die Verbindung zwischen der Vorliebe der Fotografin für fantastische Schönheit und dem Zauber von Schiaparellis surrealistischen Kreationen ist offensichtlich.
Ilse Bing experimentierte mit Kontrast- und Lichtspielen und fand in der Nachtfotografie den Weg, ihre traumhafte Vision der Realität auszudrücken. Als echte Experimentatorin stellte sie diese Darstellung durch die Technik der Solarisation in Frage, die sie 1934 zum ersten Mal ausprobierte. Diese im 19. Jahrhundert entdeckte und von Man Ray erfundene Technik, die von den Surrealisten aufgegriffen wurde, ermöglichte es, positive und negative Werte im endgültigen Abzug teilweise umzukehren. In dieser Art von Bildern scheinen die Objekte mit einer übernatürlichen Aura zu leuchten und die Grenze zwischen Traum und Realität löst sich auf.
Place de la Concorde, 1934, ist sicherlich eine der radikalsten Ausprägungen der von Ilse Bing geschaffenen Vorstellungswelt. Gegen das Licht aufgenommen, wird der Brunnen zu einer dunklen Form, die von Wasser umhüllt ist, das einen Lichtvorhang bildet.