Lovis Corinth: Lovis Corinth
Galerie Karsten Greve Paris
Dienstag bis Samstag, von 10 bis 19 Uhr
Vernissage
am Samstag, 29. Januar 2022, von 17 bis 20 Uhr
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
LOVIS CORINTH - Galerie Karsten Greve Paris - 2022. © Nicolas Brasseur
Die Galerie Karsten Greve freut sich, dem deutschen Maler Lovis Corinth (1858-1925) eine Ausstellung zu widmen, der dadurch zum ersten Mal in einer Galerie in Frankreich gezeigt wird. Die elf Werke beleuchten seine späte Schaffenszeit – ein Werk auf Papier von 1918, ein Selbstporträt von 1922 und neun Blumenstillleben, die er zwischen 1915 und 1925 geschaffen hat. Die Malereien stammen aus der Privatsammlung Greve und laden ein, diesen visionären Künstler neu zu entdecken, der zu Lebzeiten bejubelt wurde, aber dessen Erbe durch die sozialen und politischen Unruhen des 20. Jahrhunderts überschattet wurde.
Lovis Corinths Werk kann keinem Stil zugeordnet werden – manchmal malt er expressionistisch, manchmal impressionistisch – bei dem Künstler verschmelzen die Kunstströmungen in einem Kaleidoskop der Inspirationen miteinander. Er wird 1858 in Tapiau, in Ostpreußen, geboren und erlebt den deutsch-französischen Krieg und die Vereinigung Deutschlands. Vom frühesten Kindesalter an fühlt er sich der Kunst hingezogen, und erhält eine zwölf Jahre dauernde künstlerische Ausbildung: zuerst an der Kunstakademie von Königsberg (1876-80), dann an der Münchner Kunstakademie (1880-84) und schließlich in Paris, wo er bei William-Adolphe Bouguereau und Tony Robert-Fleury an der Académie Julian (1884-87) studiert. Als er 1884 in der französischen Hauptstadt eintrifft, findet er ein Paris vor, das von unaufhörlichen Regimewechseln, von der Niederlage gegen Preußen und von sozialen und wirtschaftlichen Krisen gebeutelt wird. Die Erinnerung an die blutige Kommune von Paris und ihre Bürgeraufstände geistern in der Erinnerung der Gesellschaft herum, die durch die von dem Architekten Hausmann durchgeführte Stadterneuerung verunsichert ist. Dennoch macht Corinth in Paris auf sich aufmerksam. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts muss sich ein Künstler dem akademischen System fügen, wenn er erfolgreich sein will und im Salon de Paris, der obersten künstlerischen Instanz, geehrt werden will. Corinth stellt dort aus und erhält 1890 für eine Pieta eine Auszeichnung. Er besteht diesen Initiationsritus erfolgreich, aber er strebt nach anderem.
Bei seiner Rückkehr nach Deutschland nimmt Lovis Corinth Abstand vom Akademismus und wird 1892 eines der Gründungsmitglieder der Münchner Secession, die er ein Jahr später wieder verlässt. 1901 zieht er nach Berlin und schließt sich der Berliner Secession an, zu dessen Präsident er 1915 gewählt wird. Er lernt Paul Cassirer kennen, einen einflussreichen Kunsthändler jüdischer Herkunft, der als erster seine Werke in seiner Galerie ausstellt und ihn in eine neue Elite einführt, die auf der Suche nach zeitgenössischerer Kunst ist. Cassirer verschafft Corinth Zugang zu den Werken von van Gogh und Cézanne. Er bewundert diese beiden Genies, die sich von den Mittelpunkten der konventionellen Kunst und ihren aufgezwungenen Regeln und den erdrückenden Erwartungen der Gesellschaft zurückgezogen haben, um sich der berauschenden Freiheit der malerischen Geste und den Farben hinzugeben. 1913 findet Corinths zu seinen Lebzeiten größte Ausstellung statt. Sie wird von Cassirer organisiert und zeigt zweihundertdreißig Werke. Anlässlich seines sechzigsten Geburtstags wird Lovis Corinth 1918 von der deutschen Presse als Genie und der « Meister des Impressionismus » bezeichnet. Seine Landschaften und Stillleben werden eher kritisch als begeistert aufgenommen. Dreizehn seiner Malereien werden ausgewählt, um Deutschland 1922 neben Liebermann, Slevogt und Kokoschka bei der Biennale von Venedig zu vertreten. Die Virtuosität seines Duktus, die kühnen Bildausschnitte und die von Corinth so geschätzten kräftigen Pinselstriche spiegeln sich in den Werken seiner Zeitgenossen und in denen Edvard Munchs wieder, und dreißig Jahre später in der Malerei der New Yorker Schule und in den abstrakten Expressionisten.
Diese elf von der Galerie Greve ausgestellten Werke stellen die Komplexität seiner Arbeit zwischen Poesie und sozialem Drama dar. Ritterrüstung und Schwert, ein Werk auf Papier von 1918, zeugt von der Verzweiflung des Künstlers angesichts der politischen Umwälzungen, des Zerfalls des Kaiserreichs, der sich an der auseinandergebrochenen Ritterausrüstung abliest, die einst eine ruhmreiche Figur im Universum des Künstlers darstellte. An den neun Stillleben kann man seine ständige Suche nach immer mehr Plastizität erkennen. Chrysanthemen im Krug, von 1918, zeigen eine Blumenpracht, die an Gustave Caillebottes Chrysanthemen oder an die Darstellungen des Gartens von Giverny erinnern, der Claude Monet so bezaubert hat. Ab 1919 verfließen Idee, Erfindung und Auflösung oft miteinander und bewirken eine Entmaterialisierung des Objekts. Für den Betrachter ist das Erlebnis dieser Stillleben nicht nur ein visuelles. Die Konsistenz des Gemäldes vibriert und vermittelt elektrisch geladene Energie, als wäre es lebendig. Corinth gelingt es, den zarten Geruch des Flieders, der Rosen und der Anemonen anzudeuten, er malt die Aura der Dinge. In der Komposition Amaryllis, Flieder und Anemonen von1920 reichen die Blumen über den Rahmen hinaus, um den Betrachter in den Raum des Bildes hineinzuziehen. Indem er die Grenze zwischen figurativ und abstrakt verschwimmen lässt, wird die Form nebensächlich – manchmal angedeutet, manchmal scharf, wie beim Flieder im Kelchglas von 1923, wo sich das Objekt und der Hintergrund in blauen Farbschattierungen vereinen. Als Bewunderer der holländischen Meister, und insbesondere von Rembrandt und Frans Hals, verbindet Corinth die Tradition mit seiner eigenen Modernität. Er schwankt zwischen realistischer Darstellung und der Vermittlung von purem Gefühl, das seine Sicht der Welt wiederspiegelt. 1920 schreibt er in sein Lehrbuch: « Die Blumen, das Geschaffenste für Stilleben, sind delikat und subtil in den Formen ihrer Blüten und Blätter. Indem er diese Vielfalt von Blumen malt, zähmt er ein Motiv, das sich unendlich abwandeln lässt und ihn unerlässlich herausfordert.
Seine Malereien zwischen 1923 und 1925 stellen den Höhepunkt dieses überschäumenden Expressionismus dar. Auf dem Gemälde Öl auf Holz, Blumen im Bronzekübel von 1923 feiert Corinth die malerische Geste, die die Wirklichkeit immer mehr verklärt und dadurch die Gefühle in den Vordergrund hebt. Es ist eine freie Malerei, bei der die Freude am Malen spürbar ist, und die eine große Sinnlichkeit im Schaffensprozess ausdrückt. « Brustbild, dunkel gegen leuchtenden Himmel. Im Hintergrund Blätter und ein Stück des Sees sichtbar. In Urfeld am Walchensee auf der Terrasse unseres Landhauses gemalt », mit diesen Worten beschreibt seine Frau, Charlotte Berend-Corinth, das Selbstporträt von 1922, heute eines der wenigen, die einer Privatsammlung angehören. Ab 1900 malt sich Lovis Corinth mindestens einmal pro Jahr, da ihn das Verstreichen der Zeit fasziniert. Hier spielt er mit der Andeutung des Sees, der durch frische, für diese Gegend typische Farbtöne erkennbar wird, die die warmen Braun- und Beigetöne hervorheben, die er ausgewählt hat, um sich darzustellen. Allein die Farbe unterscheidet zwischen der Landschaft und dem Gesicht, durch ein gewagtes Ballett von Pinselstrichen. Am 31. März 1925 notiert Corinth in seinem Tagebuch: « Die wahre Kunst ist Unwirklichkeit üben. Das Höchste! ». Nicht mehr die Mimesis ist wichtig, sondern ein plastisches Pendant, roh und sinnlich, im Einklang mit dem Expressionismus, der den Seelenzustand wiederspiegelt.
"Die Blumen, das Geschaffenste für Stilleben, sind delikat und subtil in den Formen ihrer Blüten und Blätter."
Lovis Corinth
Corinths Aura dauert an bis zu Beginn der 30er-Jahre und dem Anstieg des Nationalsozialismus. Im Juli 1937 werden Lovis Corinths Werke in der Münchner Ausstellung Entartete Kunst gezeigt, gemeinsam mit Werken von Picasso, Kokoschka, Munch, Chagall, Nolde und zahlreichen anderen Künstlern. Der Grund dafür sind seine späten Werke und dieser lebendige Strich, für den er berühmt ist. Insbesondere diese Werke werden als schlampig, krank und degeneriert bezeichnet. Da er mit einer Jüdin verheiratet ist und von großen jüdischen Sammlern unterstützt wird, erklärt ihn das Dritte Reich zu einem Künstler non grata.
Im selben Jahr, am 25. April 1937, schreibt der Amerikaner Edward Alden Jewell in der New York Times einen lobenden Artikel über Lovis Corinths Ausstellung in der Westermann Gallery in New York: « Es war ein unvergessliches Erlebnis. […] Mit einem unendlich subtilen, aber doch überaus wilden Duktus lassen die charakteristischsten seiner Gemälde den Atem stocken. Sie wirbeln auf, weichen aus, fordern den Betrachter heraus und belohnen ihn am Ende mit einem Sinn für das Wesentliche, das greifbar gemacht wurde. », Und somit bewahrt er den feinsinnigen Glanz des Künstlers außerhalb Europas.
Mit dieser Ausstellung in der französischen Hauptstadt ehrt die Galerie Karsten Greve den Künstler und sein Erbe, das einige Jahrzehnte später in den Werken von Willem de Kooning und Cy Twombly wiedergeboren wird.